Wie grüne Infrastruktur die Hitzeresilienz fördert: Vom Gründach bis zur Versickerungsfläche, vom Kreisverkehr bis zum Gewerbegebiet – die Bodensee-Stiftung zeigt, wie biologische Vielfalt, Klimawandelanpassung und Klimaschutz in Siedlungen Hand in Hand gehen.
„Hitze ist das tödlichste Unwetter, das wir kennen“, sagte der Meteorologe Sven Plöger am 9. Juli in der Sendung Tagesthemen. Damit kommentierte er die Schnellstudie eines Teams vom britischen Imperial College, nach der die Hitzewelle im Juni 2025 die Anzahl von Verstorbenen in europäischen Großstädten verdreifacht hat. Seitdem belasteten hohe Temperaturen vor allem südeuropäische Länder, nun steht Deutschland erneut eine Phase mit extremen Temperaturen bevor.
Hitzewellen gelten als „lautlose Killer“, so Malcolm Mistry, Epidemiologe und Co-Autor der Studie. Menschen in Städten haben besonders unter ihnen zu leiden, da hier Temperaturen bis zu zehn Grad höher sein können als in offenen Landschaften. Versiegelte Flächen und Betonwände heizen sich auf und kühlen auch in den Nächten wenig ab. Sie schaffen so genannte Hitzeinseln. Glasfassaden tun ihr Übriges dazu.
Mehr Natur statt mehr Technik
Viele Firmen und Privathaushalte setzen für Innenräume mittlerweile auf Klimaanlagen und Ventilatoren. „Technische Mittel allein können nicht die Lösung sein, ganz im Gegenteil“, betont Daniela Dietsche, Projektleiterin bei der Bodensee-Stiftung. „Der Energiebedarf und die verwendeten Kältemittel treiben den Klimawandel weiter voran“, sagt sie und weist darauf hin, dass mit Klimaanlagen die warme Luft in die ohnehin thermisch belasteten Außenräume transportiert werde, „was den Aufenthalt draußen nochmals erschwert“. Dabei seien es gerade die Außenräume, die – eine entsprechende Gestaltung vorausgesetzt – die Lebensqualität in unseren Städten auch in Zukunft sicherstelle: „Naturbasierte Lösungen zur Klimawandelanpassung mindern Hitze, schützen vor Überschwemmungen, filtern Luftschadstoffe, mindern Lärm und sind gleichzeitig langfristig günstiger als technische“, betont die Biologin. Aus ihrer Sicht gilt es, das Potential zu nutzen: Vom biodivers gestalteten Verkehrsbegleitgrün, über Gebäudegrün bis zur Versickerungsfläche, von Parks in der begrünten Innenstadt bis zu naturnahen Firmengeländen im Gewerbegebiet.
Klimaanpassung auf dem Dach: Gründach-PV-Kombination

Copyright: Bodensee-Stiftung
Ein Beispiel für Synergieeffekte ist die Kombination von Gründächern mit Photovoltaikanlagen. Sie kühlen durch Verdunstung, verbessern das Raumklima, fördern die Artenvielfalt und entlasten bei Starkregen das Abwassersystem. Und: PV-Anlagen auf Gründächern steigern den Anteil erneuerbarer Energien.
Noch allerdings bremsen Vorbehalte den Ausbau. Die Bodensee-Stiftung hat mit Partnern aus Handwerk und Architektur eine Weiterbildung für die gelungene Kombination von Gründächern mit PV-Anlagen konzipiert (der nächste Kurs findet am 28. Oktober an der Handwerkskammer Ulm statt).
Wettbewerb zwischen Gemeinden in Österreich, Deutschland und der Schweiz
13 Gemeinden aus Österreich, Deutschland und der Schweiz wetteifern derzeit im „Spiel ohne Grenzen! Zukunftsgrün“ um die besten und die meisten Lösungen im Einsatz von biologischer Vielfalt zur Klimawandelanpassung. Wie viele Quadratmeter Gründachfläche kann die Kommune vorweisen? Wie viele Quadratmeter versiegelte Fläche? Welche Anreize gibt es, erstere zu erhöhen und letztere zu reduzieren?
Der Eifer unter den Gemeinden, in den Bereichen Biodiversitätsförderung, Gesundheit, Soziales und Klimawandelanpassungen möglichst viele Punkte zu sammeln, ist groß, aber auch sehr partnerschaftlich: Alle lernen grenzüberschreitend voneinander. Der Gewinn kommt den Bürgerinnen und Bürgern zugute: „Die Stärkung unseres Stadtgrüns ist eine der zentralen Aufgaben der Stadtpolitik in Hohenems. Es geht darum, den Bürgerinnen und Bürgern Raum für Erholung zu bieten, gleichzeitig aber auch die Anpassung an den Klimawandel voranzutreiben. Das ‚Spiel ohne Grenzen! Zukunftsgrün‘ unterstützt uns dabei, indem es uns konkrete Maßnahmen an die Hand gibt und die Zusammenarbeit mit anderen Städten und Gemeinden fördert“, erläutert Dieter Egger, Bürgermeister des österreichischen Hohenems die Motivation zum Mitspielen. Das Spiel ist Teil des EU Interreg Projekt „Zukunftsgrün“, das von der Bodensee-Stiftung koordiniert wird. (Weitere Informationen unten)
Augenmerk auf vulnerablen Gruppen

Hohe Temperaturen gefährden insbesondere vulnerable Gruppen wie Säuglinge, Schwangere, durch Krankheit geschwächte Menschen oder Seniorinnen und Senioren. Gerade vulnerable Gruppen stehen im Fokus der Stiftung Liebenau mit Sitz in Meckenbeuren in der Nähe des Bodensees. Als Träger von Einrichtungen ist das Sozialunternehmen in rund 130 Kommunen tätig. Als Partner im Projekt Zukunftsgrün erprobt die Stiftung Liebenau auf sechs Pilotflächen, welche Maßnahmen zur Klimawandelanpassung und Biodiversitätsförderung auf den Standorten möglich und gut integrierbar sind und wie diese auch im Therapie- und Bildungsalltag genutzt werden können.
„Wir brauchen möglichst viel Grün und möglichst vielfältiges Grün, das sich auf heimische Pflanzen und Lebensräume fokussiert, um Klimawandelanpassung und Biodiversitätsschutz voranzutreiben“, betonte Daniela Dietsche jüngst in Führungen bei den ‚Liebenauer Kräutertagen‘. Zum Beispiel mit dem Erhalt alten Baumbestands. „Denn die Bäume, die wir heute anpflanzen, schaffen erst in ein paar Jahrzehnten die von uns erwartete Verdunstungskühle“, erläuterte Dietsche.
Am Beispiel einer Wiese zeigte sie die Wirkung der Pflegeumstellung von Grünflächen: Die Fläche, die bisher im Sommer durchschnittlich alle zwei Wochen gemäht wurde, erfuhr eine Umstellung hin zu einer extensiven Pflege. Das heißt: Sie wird nur noch zwei Mal im Jahr mit dem Balkenmäher gemäht, abgeräumt und nicht gedüngt. Eine solche Fläche hält Dürre besser aus, kann bei Starkregen mehr Wasser aufnehmen und die Umgebungstemperatur durch ein günstiges Mikroklima senken. Darüber hinaus bietet sie Lebensraum und Nahrung für heimische Tiere und steigert die Aufenthaltsqualität für Menschen.
Die neu angelegte Biodiversitätsfläche am Neubau Haus Raphael zeigt, was auf kleiner Fläche möglich ist: Retentionsmulde, Totholz-, Stein- und Sandstrukturen sowie Sitzgelegenheiten wurden auf der Fläche arrangiert und naturnah mit heimischen Ansaaten und Stauden bepflanzt. Ganz besonders freut Daniela Dietsche: „Es ist schön zu sehen ist, dass das Konzept von biodiversem Zukunftsgrün auch tatsächlich sehr positiv auf die Bewohner und das Personal vor Ort wirkt.“
Die Pilotstandorte sollen nicht nur die Skalierbarkeit biodiversitätsfreundlicher klimaangepasster Flächengestaltung demonstrieren, sondern auch als Lernorte für Mitarbeiter von kommunalen Bauhöfen sowie des Garten- und Landschaftsbaus dienen.
Klimaanpassung im nachhaltigen Gewerbegebiet

Auch Gebäude und technische Anlagen können durch Klimawandelfolgen wie Starkregen und Hagel Schaden nehmen. So sind unter anderem wegen großflächiger Versiegelung Gewerbegebiete Risikogebiete. Die Gemeinde Schlier bei Ravensburg wirkt dem in ihrem neuen Gewerbegebiet „Unteres Tal“ im Ortsteil Wetzisreute entgegen: In Zusammenarbeit mit der Bodensee-Stiftung hat sie einen Handlungsleitfaden für ein nachhaltiges Gewerbegebiet entwickelt. So enthält der Bebauungsplan einige Besonderheiten: Von der Gründachpflicht über eine vollständige Versickerung der Niederschlagsmengen auf der Grundstücksfläche bis hin zur naturnahen Bepflanzung.
Ein Bonussystem honoriert Maßnahmen in den Bereichen Gebäudegrün, Energieeffizienz, flächensparendes Bauen und Nutzung ökologischer Baumaterialien, die über die Vorgaben hinausgehen: So können die Unternehmen Punkte sammeln und den Grundstückspreis um 5 bzw. 10 Euro reduzieren.
Weitere Informationen
Das Projekt Zukunftsgrün
Ziel des Projekts Zukunftsgrün ist es, Lösungen für die Zukunftsfähigkeit von Siedlungsräumen zu entwickeln und in die breite Anwendung zu bringen, die Synergien zwischen Klimaschutz, Schutz der biologischen Vielfalt und Anpassung an die Folgen des Klimawandels schaffen.
„Zukunftsgrün“ schafft grenzüberschreitend im DACH-Raum Trainings- und Bildungsangebote, baut ein transdisziplinäres Netzwerk mit Expert*innen aus Planung und Umsetzung von Siedlungsgestaltung auf, demonstriert die Skalierbarkeit biodiversitätsfreundlicher klimaangepasster Flächengestaltung und Liegenschaftsmanagements anhand einer Organisation mit mehr als 200 Standorten und trägt zur Sensibilisierung von Bürgern, Verwaltung und Wirtschaft bei.
Projektpartner sind Bodensee-Stiftung (Leitung), BUND Naturschutz Ökostation Schwaben e.V. und Stiftung Liebenau (alle Deutschland), baubook GmbH, Energieinstitut Vorarlberg und pulswerk GmbH (alle Österreich) sowie die Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften (Schweiz). Das Projekt wird gefördert mit Mitteln des Interreg-Programms Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein, Laufzeit ist von 1. April 2023 bis 31. Dezember 2026. Weitere Informationen auf der Website des Projekts Zukunftsgrün.
Zum Spiel ohne Grenzen:
Diese 13 Gemeinden spielen mit: Arbon, Romanshorn (Schweiz) Baienfurt, Baindt, Berg, Friedrichshafen, Lindau, Memmingen, Weingarten (Deutschland) Hohenems, Koblach, Lauterach, Rankweil (Österreich)
Die Gemeinden punkten beim «Spiel ohne Grenzen! Zukunftsgrün» mit der Umsetzung von zukunftsgerichteten Maßnahmen in den Bereichen Biodiversitätsförderung, Gesundheit, Soziales und Klimawandelanpassungen. Je mehr umgesetzte Maßnahmen, umso mehr Punkte. Damit Gemeinden und Städte möglichst stark profitieren, laden die Organisatoren zu themenspezifischen Workshops und Exkursionen und zu regelmäßigen Zwischenspurts ein. Geleitet wird das Spiel von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften und pulswerk GmbH, dem Beratungsunternehmen des Österreichischen Ökologie-Institut. Die Website des “Spiel ohne Grenzen!Zukunftsgrün” informiert über die Spielelemente und den aktuellen Spielstand.
Zertifizierungssystem für biodiversitätsfördernde Außenräume
Im Rahmen des Projekts „UBi- Unternehmen biologische Vielfalt“ hat die Bodensee-Stiftung gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB“ das Zertifizierungssystem für biodiversitätsfördernde Außenräume erarbeitet. Es hilft Unternehmen, Kommunen und Quartiersentwickelnden dabei, Flächen auf bebauten Grundstücken, an Fassaden und auf Dächern so zu gestalten und zu pflegen, dass diese die Bewahrung der Arten- und Ökosystemvielfalt unterstützen.