Blühbotschafter engagieren sich ehrenamtlich für den Schutz von Insekten, indem sie sich in ihrem Umfeld für artenreiche Grünflächen einsetzen. Beim Besuch von Höfen in Oberschwaben lernten sie Möglichkeiten der Landwirtschaft und deren Begrenzungen bei der Insektenförderung kennen.

Biologische Vielfalt ist eine Grundlage für das menschliche (Über-)Leben. Doch jährlich sterben aufgrund des Rückgangs an Nahrung und Lebensräumen Tier- und Pflanzenarten aus. Ein Hauptverursacher: die intensive Landwirtschaft. Schnell wird deshalb ein Urteil über Landwirtinnen und Landwirte gefällt. „Warum lässt der nicht wenigstens einen Streifen am Ackerrand blühen“, hat sich zum Beispiel Blühbotschafter Bernhard Korber aus dem Allgäu schon oft beim Spazierengehen gefragt. Eine mehrteilige online-Fortbildung und ein Praxistag auf landwirtschaftlichen Betrieben, zu denen die Bodensee-Stiftung eingeladen hatte, schufen Verständnis. „Das Leben ist nicht nur schwarz und nicht nur weiß, das wurde heute mal wieder sehr deutlich“, sagt Korber, der als Vorsitzender eines Kleingartenvereins immer wieder erfährt, wie wichtig ein wertschätzender Austausch ist.
„Landwirtschaft ist unfassbar komplex“
Hubert Lorinser aus Dinnenried und Nicole und Robert Hugger aus Altshausen-Stuben hießen die ehrenamtlichen Naturschützer*innen auf ihren Höfen willkommen und zeigten, welche Maßnahmen sie auf Betriebsflächen zum Wohl von Insekten umsetzen bzw. gerne umsetzen würden, was aber aus politischen oder ökonomischen Gründen (noch) nicht möglich ist. „Landwirtschaft ist unfassbar komplex“, hatte Saskia Wolf schon in der Einladung betont. Die Projektleiterin der Bodensee-Stiftung hat zum einen bereits viele Blühbotschafter*innen aus- und weitergebildet, zum anderen hat sie schon zahlreiche Landwirt*innen in Projekten begleitet. Mit der Fortbildung vermittelte sie einen Einblick in diese Komplexität.
Biodiversität spielte in der Ausbildung keine Rolle

Nicole Hugger und Hubert Lorinser haben sich an der Bauernschule Bad Waldsee zu Biodiversitäts-Pädagog*innen ausbilden lassen. Nun versuchen sie, auf ihren Betrieben Erfahrungen zu sammeln und diese weiterzugeben. „Tiere wie Schwebfliegen oder Käfer habe ich früher gar nicht so wahrgenommen“, gesteht Lorinser, der auf 27 Hektar Ackerbau betreibt. „Biodiversität spielte keine Rolle in der Ausbildung“, erinnert er sich. Heute ist ihm wichtig, biodiversitätsfördernde Strukturen wie Hecken, Blühflächen oder Brachen auf seinem Gelände anzulegen.
Daniela Schröfel aus Bartholomä würdigte das Engagement. „Ich lebe auf dem Dorf mit und wir alle leben von der Landwirtschaft.“ Als Bürgerin und als Biodiversitäts-Pädagogin wolle sie die Gründe für landwirtschaftliche Praktiken verstehen, nicht Fronten verhärten. „Kommunikation ist alles“, betonte sie ihre Motivation für die Teilnahme an der Fortbildung. In den Vorträgen vorweg hatte Saskia Wolf den Ehrenamtlichen die geschichtliche Entwicklung der Landwirtschaft, aktuelle politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Bedeutung von Biodiversität und Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft nähergebracht.

Hubert Lohrinser will sein Engagement noch ausbauen: „Wir müssen von punktuellen Maßnahmen wegkommen“, betont er. Die Vernetzung müsse besser gelingen, so dass Tiere leichter versiegelte oder durch Ackerbau für sie unattraktive Flächen überspringen können. Das Prinzip ist ihm auf seinem Hofgelände wie auch auf den bewirtschafteten Flächen wichtig. Nicht ohne Stolz zeigte er den Blühbotschafter*innen seine Erfolge, z.B. eine vierjährige Blühfläche auf seinem Hof, die vor Farben, Vielfalt und summenden Insekten strotzt. Aber auch ein kleines Biotop mit Blühwiese und einem Wäldchen, das er mit Holunder, wolligen Schneeball, Liguster, Esche, Kirschbäumen, einem Steinhaufen und einer einladenden Holzbank ergänzt hat. „Das ist ein Idealbild dafür, wie Biodiversität gefördert werden und gleichzeitig auch der Öffentlichkeit ihre Wirkung vermittelt werden kann“, sagte Saskia Wolf anerkennend.
Ökonomie versus Ökologie

Der 65-jährige Landwirt erlaubt sich, Maßnahmen zu erproben, auch wenn er damit Ertragseinbußen in Kauf nehmen muss. Dagegen lastet der ökonomische Druck auf dem Betrieb in Stuben. Mit drei Kindern in Ausbildung und hohem Investitionsbedarf auf dem Hof, den sie 2014 übernommen haben, müssen Nicole und Robert Hugger oft zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen abwägen. Robert Hugger arbeitet neben 30 Hektar Grünland- und Ackerbau sowie Milchviehhaltung in Teilzeit außerhalb des Hofs, Nicole Hugger bietet tiergestützte Pädagogik an und lädt mit Kühen, Ponys, Schafen, Ziegen, Meerschweinchen, Hühnern, Katzen und Hund Amy Kinder und Erwachsene zu verschiedenen Förder-, Coaching- und Freizeitformaten ein.
Teils wird landwirtschaftliche Biodiversitätsförderung von der Agrarpolitik finanziell honoriert, teils aber auch nicht. „Mir tut das im Herzen weh, dass wir nicht mehr umsetzen können“, sagte Robert Hugger den Blühbotschafter*innen bedauernd, und doch zeigten die Huggers ein Bündel von Maßnahmen, mit denen sie Insekten Nahrung und Lebensraum anbieten. Zum Beispiel ein „Wildwuchs“ mit Benjeshecke, altem Baumbestand und Bienenhotel auf einer früheren Pferdeweide. „Ein Anblick, an dem wir uns laben können“, sagte eine Blühbotschafterin lachend, auch wenn Nicole Hugger noch nicht zufrieden mit dem Ergebnis ihres „Biodiversitätsparks“ ist. Dankbar nahm sie Anregungen für die Pflege aus dem Kreis der Blühbotschafter an.
Biodiversität unter der Bodenoberfläche

Groß ist das Interesse auch an der Bodenbiodiversität: „Das ist hochspannend“, betonte Robert Hugger mit ansteckender Begeisterung und erläuterte: „Auf einen Hektar kommen Kleinlebewesen, die einem Umfang von zweieinhalb Großvieheinheiten entsprechen. Aber unter der Erde gibt es auf der gleichen Fläche Leben von sechs bis sieben Großvieheinheiten!“ Wie sehr sich der Boden einer intensiv bewirtschafteten Fläche und einer Brachfläche unterscheiden, konnten die Blühbotschafter im Vergleich direkt auf dem Feld beobachten: In letzterer ist die Bodenstruktur wesentlich lockerer, viel mehr Regenwürmer kriechen aus der gleichen Menge Boden. Mit veränderten Anbaumethoden will Robert Hugger die Bodenfruchtbarkeit verbessern.
Beide besuchten Betriebe wollen nicht missionieren, hoffen aber, in ihrem Umfeld zum Umdenken, zumindest zum Hinterfragen üblicher Praktiken zu bewegen. Und damit haben die Landwirt*innen viel mit den Blühbotschafter*innen gemein. „Jeder muss seinen Weg finden“, sagte Nicole Hugger – ein Ansatz, den nicht nur Bernhard Korber im Kleingartenverein verfolgt.
Blühbotschafter – Wer ist das und was machen die?
Derzeit gibt es rund 180 Blühbotschafterinnen und Blühbotschafter im süddeutschen Raum. Sie setzen sich ehrenamtlich in ihrem privaten Umfeld für die Förderung bestäubender Insekten ein. Der fünftägige Lehrgang zum Blühbotschafter beinhaltet neben Elementen der Wissensvermittlung, wie Grundkenntnisse über ökologische Zusammenhänge von Pflanzen und deren Bestäuber auch Einblicke in mögliche Handlungsfelder: Welche Optionen zur ökologischen Aufwertung haben Gemeinden? Was sind mögliche Argumente für Firmen, ihre Flächen naturnah zu gestalten?
Die Liebe zur Natur und die Sorge um die biologische Vielfalt ist die gemeinsame Motivation. Wie die Blühbotschafter ihr Wissen ein- und umsetzen, variiert stark – abhängig unter anderem von der persönlichen Lebenssituation, dem individuellen Zeitbudget und der jeweiligen Persönlichkeit. Sie wirken als Vorbilder, regen beim Bauhof ihrer Gemeinde oder auch auf Unternehmensflächen ihres Arbeitgebers die veränderte Pflege der Grünflächen an. Mit großem Engagement und Zeitaufwand bilden sie sich auch nach der Ausbildung fort, mit privater Lektüre, im Austausch untereinander, in Online-Fortbildungen und Exkursionen, wie diese zu den landwirtschaftlichen Betrieben.
Weitere Informationen auf der Blühbotschafter-Website. Hier zeigt eine Landkarte, wo welche Blühbotschafter aktiv sind. Die Bodensee-Stiftung gibt das Ausbildungskonzept interessierten Bildungsinstitutionen weiter. Interessierte können sich an Saskia Wolf wenden. Die Blühbotschafter*innen sind im Rahmen des Interreg Projekts „Bürger – Bienen – Biodiversität: Engagement mit Mehrwert“ ins Leben gerufen worden. Aktuell werden Aus- und Fortbildungen über das Interreg-Projekt „Zukunftsgrün“ finanziert.
Das Projekt Zukunftsgrün
Ziel des Projekts Zukunftsgrün ist es, Lösungen für die Zukunftsfähigkeit von Siedlungsräumen zu entwickeln und in die breite Anwendung zu bringen, die Synergien zwischen Klimaschutz, Schutz der biologischen Vielfalt und Anpassung an die Folgen des Klimawandels schaffen.
„Zukunftsgrün“ schafft grenzüberschreitend im DACH-Raum Trainings- und Bildungsangebote, baut ein transdisziplinäres Netzwerk mit Expert*innen aus Planung und Umsetzung von Siedlungsgestaltung auf, demonstriert die Skalierbarkeit biodiversitätsfreundlicher klimaangepasster Flächengestaltung und und trägt zur Sensibilisierung von Bürgern, Verwaltung und Wirtschaft bei. Projektpartner sind Bodensee-Stiftung (Leitung), BUND Naturschutz Ökostation Schwaben e.V. und Stiftung Liebenau (alle Deutschland), baubook GmbH, Energieinstitut Vorarlberg und pulswerk GmbH (alle Österreich) sowie die Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften (Schweiz).
Das Projekt wird gefördert mit Mitteln des Interreg-Programms Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein, Laufzeit ist von 1. April 2023 bis 31. Dezember 2026.