15 Verbände fordern 225 Millionen Euro zusätzlich für die Landwirtschaft in Baden-Württemberg

Wie lässt sich das Artensterben auf Äckern und Wiesen stoppen? Die Studie “Kulturlandschaft Baden-Württemberg 2030 – Vorschläge zur Weiterentwicklung der Agrarförderung in Baden-Württemberg” von 15 Verbänden, darunter auch die Bodensee-Stiftung, liefert konkrete Vorschläge zur Rettung der Kulturlandschaft.

„Das Artensterben auf Äckern und Wiesen kann gestoppt werden – mit einer Agrarförderung, die Biodiversitätsleistungen ausreichend vergütet und auch kleine Landwirtschaftsbetriebe zielgenau unterstützt“, fasst der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle die gute Nachricht zusammen. Auf 63 Seiten legen die Landesverbände von NABU, BUND, LNV, die Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau, die Bodensee-Stiftung, Landesjagdverband, Landesschafzuchtverband, der Landesverband für Obstbau, Garten und Landschaft, Naturfreunde und Schwäbischer Albverein, „Vorschläge zur Weiterentwicklung der Agrarförderung in Baden-Württemberg“ auf den Tisch. Insgesamt fordern die Verbände 225 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich in den beiden wichtigsten Agrarförderprogrammen des Landes, FAKT (Förderprogramm für Agrarumwelt, Klimaschutz und Tierwohl) und Landschaftspflegerichtlinie (LPR). Fünf weitere Verbände und Organisationen unterstützen das Vorhaben.

Infografik zum Mehrbedarf in der Agrarförderung

Die von den Verbänden in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die derzeitigen Förderprogramme für die Landwirtschaft grundsätzlich geeignet sind, die Biodiversität zu stützen, es aber dringenden Weiterentwicklungsbedarf gibt: „Die grün-schwarz geführte Landesregierung ist angetreten, den drastischen Artenschwund zu stoppen und eine Trendumkehr einzuleiten. Dafür wurden bereits einige sinnvolle Maßnahmen ergriffen, wie zum Beispiel das ‚Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt‘. Allerdings reichen diese Maßnahmen bei weitem nicht aus. Wenn der dramatische Verlust der Artenvielfalt wirklich gestoppt werden soll, braucht es deutlich größere Anstrengungen und den massiven Ausbau der Förderprogramme für die Landwirtschaft, wie wir es mit unserer gemeinsamen Studie vorschlagen“, sagt der Vorsitzende des Landesnaturschutzverbandes (LNV), Gerhard Bronner.

Jörg Dürr-Pucher, der Präsident der Bodensee-Stiftung betont dabei: „Uns ist klar, dass wir die Biodiversität in unserer Kulturlandschaft nur gemeinsam mit den landwirtschaftlichen Betrieben erhalten können. Mit unserem Volksbegehren ,Rettet die Bienen‘ fordern wir zwar weniger Pestizide und einen besseren gesetzlichen Schutz der Kulturlandschaft, doch solange die Verbraucherinnen und Verbraucher an der Ladentheke nicht bereit sind, mehr für naturverträglich hergestellte Lebensmittel zu bezahlen, brauchen unsere bäuerlichen Familienbetriebe die finanzielle Unterstützung des Staates, um landwirtschaftliche Produktion und Naturschutz zusammenzubringen.“ Der Erhalt der Artenvielfalt habe Verfassungsrang, deshalb sei es auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ihn zu garantieren, so Dürr-Pucher.

Der Vorsitzende des Landesschafzuchtverbandes (LSV), Alfons Gimber, erläutert einige Schwierigkeiten bei der aktuellen Förderung: „Das Problem ist, dass viele Fördersätze in den Programmen der Landesregierung ökonomisch unattraktiv und in der Beantragung zu bürokratisch sind. Das schreckt viele Schäfer ab. Gerade für Schafweiden, schwer zu bewirtschaftende und kleinteilige Flächen, die für die Artenvielfalt aber häufig besonders wertvoll sind, trifft das zu.“ Ein anderes Manko wird bei den ökologisch besonders wertvollen Streuostwiesen sichtbar: „Mit mehr als neun Millionen Obstbäumen besitzt Baden-Württemberg die größten zusammenhängenden Streuobstbestände Europas. Damit hat das Land eine besondere Verantwortung für den Erhalt dieser wertvollen Kulturlandschaft. Rund 5.000 Tier- und Pflanzenarten kommen in diesen Lebensräumen vor. Die meisten dieser Flächen gehören jedoch Privatbesitzern, die von der landwirtschaftlichen Förderung überhaupt nicht erreicht werden. Es braucht hier also Veränderungen, um die vielen Stücklesbesitzer*innen im Land zu motivieren, ihre Streuobstwiesen zu erhalten. Unsere Studie schlägt daher vor, die bisherigen Initiativen zur Streuobstvermarktung intensiver zu unterstützen und die Pflege von Streuobstbeständen zu verbessern“, sagt Johannes Enssle.

Das von rund 120 Organisationen unterstützte Volksbegehren Artenschutz „Rettet die Bienen“ fordert die gesetzliche Unterschutzstellung von Streuobstwiesen. Dies stehe nicht im Widerspruch zu einer Unterstützung aus den Agrarförderprogrammen, betont Johannes Enssle. „Das Gegenteil ist der Fall: Der Status als gesetzlich geschütztes Biotop ermöglicht es, Streuobstwiesen über die Landschaftspflegerichtlinie zu fördern. Dies bedeutet mehr Geld – nicht nur für Landwirte, sondern auch für Privatpersonen.“

Bestehende Maßnahmen wie zum Beispiel die Förderung des ökologischen Landbaus funktionieren bereits heute recht gut. Der Trend hin zu mehr Öko war auf der Fläche in den letzten Jahren stets zweistellig. Ein Acker- und Grünlandbetrieb, der auf Bio umstellt, erhält in den ersten zwei Jahren eine Umstellungsprämie von 350 Euro und für die Folgejahre dann 230 Euro. Im Sonderkulturenanbau weichen die Prämien etwas ab. „Die Zahlungen sind notwendig und gerechtfertigt, denn der Bioanbau bringt nachweislich deutliche Vorteile für die Natur“, sagt der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau, Christian Eichert. „Die Gesellschaft fordert eine deutliche Ausweitung des ökologischen Landbaus. Und auch die Landesregierung hat sich mit dem Ziel 30 Prozent bis 2030 klare Ziele gesetzt. Das Volksbegehren Artenschutz fordert sogar 50 Prozent bis 2035. Damit diese Ziele erreicht werden können, muss die Landesregierung die dafür notwendigen Mittel bereitstellen und die notwendige Begleitmusik anwerfen.“ Konkret nennt Eichert hier die Kombinationsmöglichkeit unterschiedlicher Agrarumweltmaßnahmen, begleitende Maßnahmen zur Nachfragesteigerung, die sukzessive Umstellung staatlicher Flächen und landwirtschaftlicher Landesanstalten und eine Kampagne zum Einsatz ökologischer Erzeugnisse in öffentlichen Kantinen.

Die Verbändestudie macht konkrete Vorschläge für die Weiterentwicklung der Agrarumweltprogramme FAKT und LPR. Zudem berechnet sie den finanziellen Mehrbedarf für die Programme, damit diese wirklich wirksam werden: „Damit die guten Ansätze der Landesförderprogramme FAKT und LPR nicht nur punktuell, sondern auf der gesamten Landesfläche wirken können, hat die Studie einen Mehrbedarf von 225 Millionen Euro pro Jahr ermittelt. Das sind 20 Euro pro Einwohner und Jahr für Rebhuhn, Feldlerche und Feldhase, für eine attraktive Kulturlandschaft und gesunde Lebensmittel und für überlebensfähige Bauernhöfe. Das muss es uns doch wert sein!“, schließt Landesjägermeister Jörg Friedmann.

Hintergrund
Die Verbändestudie zeigt auf, welche Förderung nötig ist, um den Verlust der Artenvielfalt im Ackerbau, im Grünland, bei Streuobst, im Erwerbsobstbau und im Weinbau zu stoppen. Für jedes der fünf Handlungsfelder stellt die Untersuchung den Ist-Zustand, die derzeitige Förderkulisse sowie Anpassungen der landwirtschaftlichen Maßnahmen und ihres Förderbedarfs dar. Das Leitbild der „Kulturlandschaft 2030“ umfasst die Erhaltung und Weiterentwicklung lebendiger und vielfältiger Landschaften mit hoher Biodiversität. Neue Techniken und Methoden kommen hierfür ebenso zum Einsatz wie naturschutzfachlich bewährte Formen der guten bäuerlichen Praxis.

Das Landwirtschaftsministerium und das Umweltministerium werden in den nächsten Wochen und Monaten Vorschläge für die Neu-Programmierung der Förderprogramme FAKT (Förderprogramm für Agrarumwelt, Klimaschutz und Tierwohl) und Landschaftspflegerichtlinie (LPR) für die Förderperiode von 2021 bis 2027 erarbeiten. Die Programme sollen dazu dienen, die heimische Kulturlandschaft zu erhalten und die Artenvielfalt zu schützen. Trotz einiger guter Ansätze werden diese Ziele bislang noch nicht erreicht.

Die Studie wurde im Auftrag der Verbände vom Institut für Agrarökologie und Biodiversität (ifab) und dem Fachbüro Dr. Florian Wagner & Partner erstellt. Die vorgeschlagenen Maßnahmen wurden in einem breiten Konsultationsverfahren mit unterschiedlichen Verbänden und Fachleuten aus Naturschutz, Landwirtschaft und Landschaftspflege erarbeitet.

Folgende 15 Verbände und Organisationen unterstützen die Studie:
NABU Baden-Württemberg, BUND Baden-Württemberg, Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg, Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau Baden-Württemberg, Bodensee-Stiftung, Landesjagdverband Baden-Württemberg, Landesschafzuchtverband Baden-Württemberg, Landesverband für Obstbau, Garten und Landschaft Baden-Württemberg, Naturfreunde Baden-Württemberg, Schwäbischer Albverein, Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, Landesfischereiverband Baden-Württemberg, Ökologischer Jagdverein Baden-Württemberg, Schwarzwaldverein, Verein zur Förderung naturnaher Weidelandschaften Baden-Württembergs

Die wichtigsten Forderungen und Vorschläge der Studie sind:

1) Anreize schaffen – Zahlreiche Fördersätze sind derzeit unattraktiv, weil sie ökonomisch nicht tragfähig sind und den Mehraufwand nicht adäquat honorieren. Naturschutz muss sich für die Landwirte lohnen!
2) Kombination unterschiedlicher Maßnahmen verbessern – Die Kombinierbarkeit der FAKT-Maßnahmen muss verbessert werden. Beispielsweise muss die Maßnahme „Erhaltung artenreiches Grünland“ mit „Ökolandbau“ und „Extensivgrünland“ vollständig kombiniert werden können.
3) Breitenwirkung erhöhen – Viele gute Maßnahmen werden derzeit nur auf kleinen Teilflächen umgesetzt. In Zukunft müssen die Maßnahmen eine größere Breitenwirkung entfalten, besonders im Ackerbau.
4) Streuobstförderung auch für Privatpersonen –Die Streuobstförderung muss auf private Gütle-Besitzer*innen ausgeweitet werden, denn mehr als die Hälfte der Streuobstwiesen in Baden-Württemberg gehört dieser Gruppe.
5) Extensive Beweidung besser entlohnen – Die extensive Beweidung, insbesondere auf schwer zugänglichen und kleinteiligen Flächen muss besser entlohnt werden.
6) In die Zukunft investieren – Naturfördernde Investitionen wie z. B. der Einsatz der Messerbalkentechnik bei der Mahd, die Biodiversitätsberatung, die Anlage von Demonstrationsflächen und die Schaffung eines Kompetenzzentrums für Biodiversität und Landwirtschaft müssen außerhalb der Agrarförderprogramme finanziert werden.
7) Bürokratieabbau – Die Agrarförderung muss entbürokratisiert werden. Die bürokratiebedingten finanziellen Risiken für Landwirte, die in der Landschaftspflege tätig sind, müssen reduziert werden.